Rund 70 Prozent der Kaufentscheidungen fallen direkt am POS. Ganz analog am Regal, immer noch. Schaut man den Supermarkt-Kunden dabei mal über die Schulter, stehen auf den meisten Einkaufslisten lediglich Kategorien. Zum Beispiel Butter, Milch und Brot. Sorte und Marke fehlen meistens in der Planung. POS kompakt hat mit Jessica Reinbold von der Agentur ReinboldRost über deren Arbeit zur optimierten Wertschöpfung im LEH vor dem Hintergrund des digitalen Wandels gesprochen.

POS-kompakt: ReinboldRost, eine inhabergeführte Kreativagentur mit Firmensitz in Bonn, wurde bereits 1992 gegründet. Können Sie kurz den USP der Agentur heute beschreiben und wie dieser sich über die Jahre und mit fortschreitender Digitalisierung bis heute verändert hat?

Jessica Reinbold: „ReinboldRost ist auf Creative Shopper Activation im Bereich der Konsumgütermarken (Fast-moving consumer goods/FMCG) spezialisiert. Unsere Wurzeln liegen im Kooperationsmarketing. Sprich: Wir haben Marken für verkaufsfördernde Aktionen zusammengebracht, die Leistungen gebartert haben. Klassische Anwendungen waren Gewinnspiele oder Touchpoint-Samplings. Allerdings haben wir die Schwachstellen schnell bemerkt. Viele Konzepte waren am POS nicht sinnvoll umsetzbar oder hatten ihre Tücken in der Umsetzung, weil das Fulfillment nicht geklappt hat. Weder die klassischen Agenturen noch die Dienstleister waren damals so weit. Also haben wir die Sache selbst in die Hand genommen und unsere eigene Strategie-/Konzeptionsunit aufgebaut. Zusätzlich haben wir die Fulfillers GmbH gegründet, um die gesamte Wertschöpfungskette abbilden zu können. Was uns heute auszeichnet: Wir betrachten die Shopper Activation über die ganze Shopper Journey hinweg ganzheitlich, nämlich im Dreiklang aus Shopper Insights, Handels-Know-how und Markenführung. Dazu gehört es, sämtliche Zielgruppen effektiv und effizient zum (digitalen) POS zu führen, von der Strategie- und Konzeptphase bis hin zur eigentlichen Umsetzung.
Digitale Lösungen und Kommunikationsplattformen spielen dabei eine wachsende Rolle, sowohl beim Drive-to-store als auch direkt am POS. Um hier stets am Puls der Zeit zu sein, haben wir eine eigene Unit Innovation & Business Development geschaffen. Ihre Aufgabe ist es, die Märkte ständig nach neuen Partnern und Lösungen zu scannen und zu prüfen, wie wir sie für die Ziele unserer Kunden einsetzen können. Das geht von Augmented Reality über Messenger Marketing als face-to-face Kommunikation mit dem Endverbraucher oder alles rund um das Web 3.0. Das ist für uns zum absoluten Gamechanger in der Activation geworden.“ 

Eine zentrale Erkenntnis der „Shopper Journey Studie“ Studie, die das Rheingold Institut zusammen mit GS1 Germany und Holistic Consulting umgesetzt hat, ist, dass ein großer Käuferanteil mehrere unterschiedliche Journeys durchläuft, in Abhängigkeit von Stimmung und Bedarf. Hier wird es schnell indifferent, was die Effizienz einer Shopper Marketing Strategie angeht, denn wer kennt schon genau die tagesaktuelle Stimmung und den Bedarf des Shoppers. Können Sie an einem Beispiel darstellen, wie ReinboldRost den Erfolg seiner Kampagnen sicherstellt? Welche Rolle spielt dabei die Analyse und Auswertung von Kundendaten? Wie gut gelingt es dabei, die Insights von Marken und Retailern zusammen zu führen?

Jessica Reinbold: „Tatsächlich ist es so, dass sich die einzelnen Shopper Journeys hauptsächlich auf dem Weg zum POS unterscheiden. Die individuelle Adressierung der Shopper und ihrer Bedürfnisse findet meistens über die digitalen Kanäle statt. Wir schauen uns daher zunächst die Kategorie des Produktes an. Mehl zum Beispiel ist ein klassischer Artikel, den man im Wocheneinkauf besorgt oder eben, wenn es gebraucht wird. Limonade hingegen ist eher ein Lust- oder Inspirationskauf. Dann: Was ist die Zielstellung? Soll die Käuferreichweite erhöht oder soll die Loyalität bestehender Kunden verstärkt werden? Außerdem brauchen wir Know-how über die tatsächliche oder potentielle Käuferschaft. Wenn wir das alles wissen, lassen sich die zu bespielenden Touchpoints eigentlich gut eingrenzen. Denn am Ende geht es bei uns um den Drive-to-Store: Weit über 90 Prozent des Umsatzes im LEH werden am stationären POS erzielt. Deshalb müssen wir dort möglichst viele passende potentielle Shopper ansprechen. Im LEH zu spitz zu kommunizieren, wird sich negativ auf die meist salesgetriebenen Ziele auswirken. Einzige Ausnahme sind kundenindividuelle Promotions. Hier wird die Aktivierung hauptsächlich auf die Ziele und Positionierung des Handels und dessen Käuferschaft ausgerichtet. Der Erfolg einer Kampagne liegt für uns daher in der Priorisierung und Formulierung der Zielstellung. Das ist zugleich auch die größte Herausforderung. Die Daten, die wir dafür nutzen, sind vielschichtig. Das geht von den Daten aus Handels-/Verbraucherpanels und Scannerdaten über Shopper-Insights bis hin zu Informationen aus anderen Units der Unternehmen wie Vertrieb, Key Account, Brand Management oder Digital. All diese Daten analysieren wir nicht nur, sondern legen sie auch übereinander. So gelingt es uns, den Erfolg einer Kampagne sicherzustellen.“

Wenn man von der Transformation des POS zum POX spricht, geht es um ein positiv besetztes Kundenerlebnis. Sie schreiben dazu auf Ihrer Homepage: „Menschen vergessen vielleicht, was Du ihnen sagst, aber niemals das Gefühl, das Du ihnen vermittelst.“ Was so einfach klingt, ist ein sehr komplexes Szenario. So hat die bereits erwähnte „Shopper Journey Studie“ allein für FMCGs sieben verschiedene Shopper Journey-Varianten identifiziert, wobei sich die „Experience“ zwischen den Achsen „Preisorientierung“ und „Qualitätsanspruch“ sowie „Basisversorgung“ und „Inspiratives Erlebnis“ bewegt. Mit welchen Definitionen zur „Experience“ arbeitet ReinboldRost, um erfolgreiches Shopper Marketing umzusetzen und wie gelingt es dabei, die hohe Komplexität auf ein erträgliches Maß zu reduzieren?

Jessica Reinbold: „Wir definieren das Erlebnis im Rahmen der Shopper Activation als emotionales Involvement, das bewusst wahrgenommen wird. Deshalb muss die Experience immer aus dem Produkt und der Marke herauskommen. Nur dann kommt sie authentisch an und erweckt positive Gefühle. Und klar: Sie muss natürlich auch auf das Kampagnenziel einzahlen. Davon hängt es ab, an welchem Punkt der Shopper Journey die normale Kundenkommunikation zum Erlebnis wird. Das kann ein Plakat an der Ampel sein, dass mir über einen QR-Code und eine virtuelle Duftwolke den Weg zu nächsten Burger King Filiale zeigt. Ein anderes Beispiel ist eine Zweitplatzierung am POS; wir haben zum Beispiel für Wasa ein Display mit echten Trockenblumen bestückt, um die Kampagnenaussage „Insekten-Retter gesucht!“ zu verstärken. Solche Elemente intensivieren die Stopping Power erwiesenermaßen. Und in anderen Fällen ist es eine Experience, wenn die Love Brand direkt über WhatsApp mit ihren Shopper kommuniziert.“

Was glauben Sie, wie sich die Shopper-Kommunikation und die damit im Zusammenhang stehenden Disziplinen Klassisches Marketing, das auf die Brand Awareness“ zielt, Category Management und Trade-Marketing (Abverkaufsförderung), vor dem Hintergrund von Projekten wie dem Metaverse entwickeln wird? Derzeit ist in der virtuellen Welt des Metaverse ja noch nicht so viel los… Kommt da noch der  große Schub, oder werden eher andere Konzepte die Zukunft des POX bestimmen?

Jessica Reinbold: „Im Moment wird das Metaverse ja hauptsächlich mit Plattformen wie Decentraland gleichgesetzt. In Deutschland tummeln sich hier vor allem Gamer. Für Werbetreibende sind die Reichweiten dort im Moment noch unspektakulär. Markenkommunikation wird zumeist über PR-Aktivitäten wahrgenommen, nicht über das Engagement auf den Plattformen selbst. Ich bin sicher, dass wir eine Steigerung der Reichweite erwarten können; für uns als Agentur sind solche Plattformen im Moment aber nur weitere mögliche Touchpoints unter vielen. Spannender wird es für uns alle, wenn wir das Metaverse als eine Erweiterung unserer digitalen Realität betrachten, in der Benutzer die Zuschauerrolle verlassen und zu Protagonisten werden. Wir leben in einer frühen Version davon. Die Technologien sind noch nicht perfekt, aber sie werden immer besser. Und dann wird das Metaverse direkten Einfluss auf das Einkaufen haben und den POX bestimmen, z.B. in virtuellen Supermärkten. Handel und Hersteller werden in Zukunft die Chance haben, den Shopper direkt in die eigene Markenwelt einzuladen und dort sämtliche Kommunikation stattfinden zu lassen. Augmented Reality macht das schon möglich. Und auch der 2D Code, der ab 2027 sukzessive den EAN Code ablösen soll, und dann als Plattform für unterschiedlichsten Content fungieren kann, ist ein weiterer großer Schritt in diese Richtung.“ 

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