Wird aus 20 Prozent auf alles 100 Prozent von gar nichts?

Die Insolvenz der Baumarktkette Praktiker schien zunächst die Tochter Max Bahr nicht zu betreffen, zieht dann schließlich aber die norddeutsche DIY-Kette doch mit in den Abgrund: Auch Max Bahr meldet wenig später Insolvenz an. Am 26. Juli 2013 mussten die Geschäftsführer der Max-Bahr-Gesellschaften die Eröffnung von Insolvenzverfahren wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit beantragen. Mutterkonzern Praktiker hatte schon am 11. Juli den Gang zum Insolvenzrichter antreten müssen.

Zu diesem Zeitpunkt hieß es noch, Max Bahr werde fortgeführt. Doch der Warenkreditversicherer Coface hatte Deckungszusagen für Lieferanten zurückgezogen. Für die DIY-Branche und die zahlreichen Arbeitnehmer eine Katastrophe, weist die Insolvenz von Praktiker Parallelen zur Schlecker-Pleite auf.

Trotz Insolvenz -der Trend zum Selbermachen bleibt ungebrochen

Als Gründe für die Pleiten Faktoren wie die zunehmende Konkurrenz durch den wachsenden Online-Handel anzuführen, scheint zunächst naheliegend. Dabei ist der kausale Zusammenhang bei näherer Betrachtung schlichtweg falsch. Denn: "Grundsätzlich", so stellt die Süddeutsche Zeitung fest, "gehen die Deutschen weiter gern in Baumärkte, auch online kaufen sie vor allem bei den bekannten Ketten."

Die Umsätze der Branche stiegen in den vergangenen Jahren leicht aber konstant an. Auch die Branchenverbände Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten e.V. (BHB), Herstellerverband Haus und Garten e.V. (HHG) und Industrieverband Garten e.V. (IVG) sehen die Bau- und Heimwerkermarktbranche weiterhin als einen wirtschaftsstarken, innovativen und zukunftsfähigen Wirtschaftszweig: "Die aktuellen Unternehmensinsolvenzen könnten den Eindruck erwecken, der Kunde verweigere sich dem Format 'Baumarkt', doch dem war und ist nicht so", betont BHB-Vorstandssprecher Erich Huwer. "Die Deutschen gehen nach wie vor gerne in die Bau- und Heimwerkermärkte, der Trend zum Selbermachen ist seit Jahren ungebrochen".

Die Marktbereinigung kommt nicht überraschend

"Schon 2005 warnten die Unternehmensberater von Ernst & Young, auf dem Markt sei einfach zu wenig Platz. Bis 2015, so die Vorhersage, werde es nur noch drei der damals 15 Baumarkt-Ketten geben. Seitdem war den Managern der Branche bewusst, dass es möglicherweise nicht alle schaffen würden. Nur glaubte keiner, dass es ihn selbst erwischen würde", berichtete die Süddeutsche Zeitung im Juli. Somit war bereits vor 8 Jahren klar, dass die Baumarktbranche in Bezug auf weiteres Wachstum bereits einen kritischen Zustand erreicht hat.

Thomas Harms, bei Ernst & Young zuständig für den Einzelhandel: "Wir haben doppelt so viel Quadratmeter pro Einwohner wie in Großbritannien oder Frankreich. Die Expansion in Ostdeutschland war eine Möglichkeit für die Ketten, viel Geld zu verbrennen. Das haben die auch alle gut gemacht." Die Marktbereinigung war also nur noch eine Frage der Zeit. Hier kommt dann außerdem noch der Faktor Kundenzufriedenheit ins Spiel. Wie lange müssen Kunden auf einen Mitarbeiter warten, wie kompetent sind diese, wie vielfältig ist das Angebot und wie hoch ist der Wohlfühlfaktor am POS und wie gut trifft die Warenpräsentation den Nerv der Shopper?

Praktiker schnitt nach Meinung der Kunden zuletzt schlecht ab. Das Deutsche Institut für Service-Qualität (DISQ) untersuchte im Frühjahr 2013 neun deutsche Baumärkte. Die Prüfer gaben Praktiker in Sachen Beratungskompetenz nur die Note "ausreichend", die Marke landete abgeschlagen auf dem letzten Platz.

Preisführer sollten auch Kostenführer sein

Thomas Roeb, Handelsexperte und Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, stellt fest: "Praktiker wollte der Billigste sein, hatte aber nicht die niedrigsten Kosten", die 20-Prozent-Aktionen konnten den Nachteil des kleineren Angebots nicht ausgleichen." Dabei gebe es im Handel eine ganz einfache Regel: "Wer Preisführer sein will, sollte langfristig auch Kostenführer sein." An diesem Problem sind schon andere gescheitert: Auch Schlecker litt unter seinem Billig-Image, obwohl weder Kosten noch Preise niedriger waren als bei anderen Drogerieketten.

Es wurden zentrale Kundenbedürfnisse ignoriert

Mit der "20 Prozent auf alles"-Botschaft hatte sich Praktiker zunächst mit viel Werbedruck mit einer unverwechselbaren Botschaft positioniert. Die Bruce Willis Synchronstimme war die perfekte Wahl für das aggressive Preiskampf-Image von Praktiker. Mit dieser Positionierung einher ging jedoch eine Strategie, die zentrale Kundenbedürfnisse ignorierte. Sie zog vor allem Neukunden in die Baumärkte, konnte diese jedoch kaum dauerhaft an die Marke binden.

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