Über Toleranzen, Touchpoints und Tiefgang

Der Faltschachtelverband FFI lud am 16. Juli 2015 zum traditionellen Pressegespräch im Airport Club Frankfurt, um Zahlen, Fakten und Trends aus der Faltschachtelindustrie sowie die Ergebnisse der aktuellen "Touchpoint-Studie 2015" den Pressevertretern vorzustellen und zu diskutieren.

Das Pressegespräch mit den Medienvertretern wurde unter der Leitung von Steffen Schnizer, Sprecher des Vorstands des Fachverbands Faltschachtelindustrie e.V. (FFI) und dem FFI-Geschäftsführer Christian Schiffers  geführt und sowohl Gastgeber wie Gäste waren offensichtlich froh, dass der Raum klimatisiert war, herrschten doch in Frankfurt an diesem Tag Temperaturen deutlich über 30 Grad Celsius. Betrachtet man die Entwicklung der Faltschachtelindustrie über einen etwas größeren Zeitraum, so kann man feststellen, dass nach der Finanzkrise 2008 die daraus entstandenen negativen Effekte relativ schnell vollständig kompensiert werden konnten. Dennoch verzeichnet die Performance-Kurve aktuell nicht mehr die Zuwächse wie noch vor der Krise und bewegt sich eher seitwärts, wenn auch auf einem stabil hohen Niveau.

Eines der bedeutendsten Verbandsprojekte ist die zusammen mit der Vereinigung Maschinenkarton bereits 2012 gestartete Überarbeitung der zuletzt 1998 herausgegebenen "FFI/VMK Qualitätsmerkmale für Faltschachtelkarton". Anfang 2014 wurden die Qualitätsmerkmale den Mitgliedern zur Verfügung gestellt. Zentraler Aspekt ist darin die Umstellung von der Kartonbestellung und -lieferung nach Gewicht auf Bogenzählung, um das Working Capital zu reduzieren und die Supply Chain zu optimieren.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Pressegesprächs waren die Marketingaktivitäten des Faltschachtelverbandes, die zum Ziel haben, Markenartikelindustrie, Handel und Agenturen über die Vorteile von Verkaufsverpackungen aus Karton zu informieren. Mit der "Touchpoint-Studie 2015" des Fachverband Faltschachtel-Industrie e.V. (FFI) werden erstmals Zahlen zur Reichweite von Faltschachteln und Kennziffern für den Beitrag von Verpackungen zum Marketingerfolg vorgestellt. "Die ‚Touchpoint Studie 2015’ zeigt, dass Verpackungen nicht nur viele Touchpoints mit Konsumenten erzielen, sondern dass damit auch ein enormer Werbewert für die Unternehmen und ihre Marke erreicht werden kann", so Steffen Schnizer.

Motivation und Zielvorgabe der Studie war vor allem, dass der Werbewert von Faltschachteln mit einem seriösen Verfahren messbar gemacht wird. Mit Hilfe des im Rahmen der Studie entwickelten sogenannten Media-Äquivalenz-wertes lassen sich auf Basis der Bruttoreichweite einer Verpackung die Konsumentenkontakte mit einem konkreten Wert hinterlegen. Dadurch wird ein Vergleich mit anderen Kommunikationskanälen ermöglicht. Markenartikler und Marketingverantwortliche können somit die Investition in die Verpackung ins Verhältnis zu ihrer kommunikativen Leistung setzen. "Im Jahr 2013 konnten wir mit der Studie ‚23 Mediakanäle im Vergleich’ zeigen, dass Verpackungen und Faltschachteln am Point of Sale die Auswahlentscheidung unterstützen und zu Hause die Markenbindung fördern", erläutert der Vorstandssprecher des FFI. "Darauf aufbauend misst die ‚Touchpoint-Studie 2015’ die Anzahl der visuellen und haptischen Kontakte und ergänzt die erste Studie mit dem Media-Äquivalenzwert um einen quantitativen Aspekt", so Schnizer weiter.

Haptische und visuelle Touchpoints

Für die repräsentative "Touchpoint-Studie 2015" wurden 16 Produktgruppen des täglichen Bedarfs ausgewählt, die überwiegend in Faltschachteln verkauft werden. Dazu zählen Nudeln, Tee, Pralinen, Glühbirnen oder Schaumküsse. In einem Zeitraum von drei Monaten ließ der FFI 2.016 Studienteilnehmer zwischen 18 und 64 Jahren zur Anzahl der von ihnen gekauften Packungen in der jeweiligen Kategorie befragen. Auf dieser Grundlage wurden Verwendungsmuster für die verschiedenen Produktgruppen erstellt und acht Faktoren ermittelt, die dabei eine Rolle spielen. Diese sind unter anderem der Umgang mit den Waren bei der Produktwahl, die Aufbewahrung sowie die Verwendung, bis das Produkt aufgebraucht ist. Daraus resultiert je nach Verwendungsmuster eine bestimmte Anzahl an Touchpoints im Geschäft und zu Hause. Tafelschokoladen erzielen beispielsweise im Geschäft durchschnittlich genauso viele reine Sichtkontakte wie haptische Kontakte. Tee dagegen wird wesentlich öfter in die Hand genommen. Zwei reinen Sichtkontakten stehen im Quartal durchschnittlich mehr als fünf haptische Kontakte gegenüber. Zu Hause ergeben sich für Teepackungen insgesamt 78,6 Touchpoints – 61,4 reine Sichtkontakte und zusätzlich 17,2 haptische Kontakte.

Bruttoreichweite und Media-Äquivalenzwert

Die Bruttoreichweite einer einzelnen Packung bildet die Basis für den Media-Äquivalenzwert. Um sie zu berechnen, werden die Kontakte mit einem Produkt im Geschäft sowie zu Hause zusammengefasst und durch die Anzahl der im gleichen Zeitraum gekauften Schachteln dividiert. Bei Cerealien liegt die Bruttoreichweite bei 44,8 Kontakten pro Faltschachtel. Von ihr aus kann die Gesamtzahl aller Sicht- und haptischen Kontakte errechnet werden, die alle verkauften Produkte mit der jeweiligen Faltschachtel-Verpackung erzielen. Um zu ermitteln, welchem Wert diese Kontakte entsprechen, wurde auf Basis eines typischen Mediaplans der durchschnittliche Tausendkontaktpreis (TKP) zweier vergleichbarer Werbeträger herangezogen: Plakat (6,52 Euro TKP) für die reinen Sichtkontakte sowie Print (20,85 Euro TKP) für die haptischen Kontakte. "Bei der Betrachtung der gesamten in einem Bereich verkauften Produkte wird deutlich, welch enormer Wert für die Werbung in der Berechnung des Media-Äquivalenzwertes der Verpackung schlummert", so Steffen Schnizer. Geht man beispielsweise von Cerealien mit 10 Millionen verkauften Packungen aus, ergibt sich daraus eine Bruttoreichweite von insgesamt 448 Millionen Kontakten, bestehend aus 315 Millionen Sichtkontakten und 133 Millionen haptischen Kontakten. Den Sichtkontakten wird entsprechend des TKP ein Preis von 6,52 pro 1.000 Kontakte zu Grunde gelegt, bei den haptischen Kontakten sind es 20,85 Euro. Zusammen erzielen alle Touchpoints einen Media-Äquivalenzwert von 4.826.850 Euro bei 10 Millionen Einheiten im Vergleich zu 2.053.800 Euro für Plakatwerbung und 2.773.050 Euro für Printwerbung. Gerade bei Produkten, die länger im Haushalt aufbewahrt werden, steigt die Zahl der Touchpoints und entsprechend auch der Media-Äquivalenzwert. Marketingverantwortliche bekommen mit ihm einen weiteren guten Grund geliefert, Verpackungen und im Besonderen Faltschachteln im Kommunikationsmix noch stärker als Werbeträger anzusehen und zu nutzen.

Die Messbarkeit von Kommunikation und die Benennung der für die Faltschachteln und Verpackungen relevanten Touchpoints zielt durch das sichtbar machen und das Schaffen einer vergleichbaren Größe bei den Marketingverantwortlichen sicherlich in die richtige Richtung. Unverhältnismäßig hoch erscheint dabei der Aufwand: Es wirkt so, als müsste das argentinische Rindersteak dem Schlachter Rede und Antwort stehen, ob und bei wie vielen seiner Kunden es wirklich geschmeckt hat.

Julia Peglow-Peters, Geschäftsführerin der Marken- und Designagentur Zeichen & Wunder in München, hat sich im Newsportal der Werbefachzeitschrift "Werben & Verkaufen" zum Phänomen "Apple" unter der provokanten Schlagzeile "Alle wollen so sein wie Apple – aber keiner tut was dafür!" geäußert. Sie fragt: "Was macht Apple so besonders? Das Produkt, sein Interface, seine Begehrlichkeit, seine Verpackung UND die Kommunikation dazu?" Ihre Antwort: "Es ist 100 Prozent Design drin. Produktdesign in jeder abgerundeten Ecke, User Centered Experience Design in der Bedienbarkeit, Interface Design in jedem Icon, Packaging Design in der Verpackung, Communication Design in der
Kampagne. Die deutschen Unternehmen, Ingenieure, Entwickler, Vorstände, Projektleiter, Marketingleiter, Kommunikationsmanager, die sagen, sie wollen so sein wie Apple, müssen hier einer ganz neuen Denke Raum geben: Design Thinking. (...) Es ist eine andere Denkart als die rein
rationale Vorgehensweise. Und sie erfordert Mut, Bauchgefühl und radikale Entscheidungen. Design Thinking macht Produkte und Technik menschlich, nahbar und begehrenswert. Im Land der Inge-nieure muss das in vielen Unternehmen erst noch als wertvoll erkannt werden."

Solange das von Julia Peglow-Peters geforderte Triumvirat Mut, Bauchgefühl und radikale Entscheidungen in Deutschlands Unternehmen aber noch nicht Normalität ist, werden wir uns mit etwas weniger als den Erfolg von Apple begnügen müssen.

Die Touchpoint-Studie und die Ermittlung eines Media-Äquivalenzwertes für die Faltschachtel-Verpackung setzt eher auf Messbarkeit als auf radikale Entscheidungen – ob sie Marketingentscheider dazu motivieren kann, sich weg von den gefährlichen Untiefen rein preis- und controllergesteuerter Einkaufspolitik, wieder hin zu mehr Tiefgang in Sachen Kommunikation, Design und konkreten Fragestellungen zum Produktnutzen zu wenden, wird die Zukunft zeigen.