Food Märkte 2020 - zwischen Evolution und Revolution

Die Ernährungswirtschaft macht in Deutschland kaum Schlagzeilen, von kurzfristigen Medienspektakeln im Hinblick auf Hygiene und/oder Tierhaltung einmal abgesehen. Bezogen auf die Märkte verläuft die Entwicklung in ruhigen Bahnen - das wird jedoch nicht so bleiben.

Von Jürgen Gottinger und Dr. Johannes Berentzen, Branchenexperten bei Dr. Wieselhuber & Partner

Bis 2020 sinken in Deutschland die Bevölkerungszahlen in den für Nahrungsmittel besonders wichtigen Altersgruppen zwischen 15 und 44 Jahren um mindestens 7 Prozent, die Anteile der Altersgruppen über 44 Jahre nehmen entsprechend um 4 Prozent zu. Insgesamt bedeutet das eine Verschiebung in der Quantität und der Qualität der Ernährung der Deutschen. Bis 2020 steigen die realen Konsumausgaben für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränken um 0,7 Prozent pro Jahr. Dieser Effekt wird nicht von Mengenveränderungen getragen, im Gegenteil.

Der mengenmäßige Verbrauch in Deutschland wird bis 2020 real stagnieren, bzw. um 0,1 Prozent pro Jahr leicht sinken. Dies liegt unter anderem an den spezifischen Verzehrgewohnheiten der Altersgruppen. Anders gesagt: Je höher das Durchschnittsalter der Bevölkerung, desto geringer wird der Verbrauch an Kalorien und des mengenmäßigen Verzehrs an Nahrungsmitteln. Bevölkerungswachstum fällt in Deutschland als Wachstumstreiber aus. In der globalen Entwicklung zeichnet sich hingegen ein anderes Bild ab. Zwischen 2010 und 2020 wird die Weltbevölkerung um schätzungsweise um 11 Prozent wachsen. Der Kalorienverbrauch wächst im gleichen Zeitraum um 13 Prozent. Getragen wird diese Entwicklung vor allem durch die qualitative Veränderung der Ernährung z.B. in Ost- und Südostasien. Hier wächst der Kalorienverbrauch pro Kopf im Vergleich zur Bevölkerung sehr viel schneller als in allen anderen Regionen der Welt. Im Vergleich wächst in den Industrieländern der Kalorienverbrauch lediglich um 0,9 Prozent pro Jahr für die nächsten 10 Jahre, während er in Südostasien um 2,0 Prozent pro Jahr zulegen wird. Die Aussichten für ein anhaltendes Wachstum in den Regionen Asiens sind daher um Vieles besser als im Inland. Die Internationalisierung des Geschäftes wird für alle Marktteilnehmer zur wesentlichen Triebfeder des Wachstums.

Gravierende Veränderungen
Die nachfolgenden Ernährungstrends werden in den nächsten Jahren die Angebots- und damit auch die Wettbewerbsdynamik in der Nahrungsmittelindustrie in Deutschland sowie auch anderen hoch entwickelten Konsumgütermärkten maßgeblich bestimmen:

  • Das Wohlfühlen im eigenen Körper, oft verbunden mit dem Wunsch nach Schlankheit und Schönheit, wobei konventionelle, durch Medien vermittelte Bilder eine zunehmend wichtige Rolle spielen;
  • Gesundheit, der Wunsch alt zu werden und den "Alterungsprozess" durch eine gesunde Ernährung zu verzögern;
  • Transparenz über die Herkunft und Inhaltsstoffe von Produkten und deren Nachhaltigkeit;
  • höchstmögliche Convenience, die insbesondere im Alltag häufig einen Spagat zwischen Genuss und Zeitknappheit einfordert;
  • Wunsch nach Abwechslung, Individualität und Selbstinszenierung.

Die Konsumenten werden in Zukunft deutlich stärker auf gesunde Nahrungsmittel setzen. Die Wachstumsstars sind vor allem Gemüse und Salate. Sie werden ihren Anteil zu Lasten anderer Ernährungsbestandteile wie Fleisch und Wurst kontinuierlich ausbauen. Diese Entwicklung wird vor allem in der Ober- und Mittelschicht zu beobachten sein, hier ist auch die Ausgabenbereitschaft für Nahrungsmittel wesentlich höher.

Die Anbieter von Fleisch- und Wurstwaren unterliegen dadurch einem noch wachsenden Preisdruck, da die übrigen Konsumentengruppen deutlich stärker preissensibel reagieren. Von einem eindeutigen Trend zur körperbewussten Ernährung ist demnach nicht durchgängig zu sprechen. Wieselhuber & Partner schätzt, dass dieser Trend bis zu 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland betrifft. Ähnliche Unterschiede wie im Bereich von Fleisch bzw. Obst und Gemüse, existieren auch in den Segmenten Limonaden und Bier im Gegensatz zu Wein und Mineralwasser.

Mit zunehmendem Alter nimmt die Energiezufuhr erheblich ab. So erreichen bei Männern und Frauen die Werte ab 65 Jahre nur noch etwa drei Viertel des Wertes der Referenzgruppe der 19- bis 24-jährigen. Diese Entwicklung wird sich in Deutschland bis 2020 massiv auf die Nachfrage nach bestimmten Warengruppen, aber auch nach Verpackungsgrößen, auswirken. Die insgesamt nachgefragten Mengen je Verpackungseinheit werden zurückgehen. Die Industrie muss hierauf entsprechende Antworten finden. Die Hersteller werden in Zukunft vor allem auf die Altersgruppe zwischen 50 und 70 achten müssen. Hier liegen Erfolgspotentiale sowohl nach Zielgruppen als auch für eine - für die Verbraucher nachvollziehbare - functional food-Differenzierung. Dabei wird vor allem der Zufuhr von Vitaminen und Spurenelementen der Vorzug vor der "chemischen Lösung" gegeben, was den zunehmenden Stellenwert und auch den Wissensstand der Konsumenten zum Thema Ernährung widerspiegelt.

Die Chancen liegen hier also deutlich eher in der Ernährungsindustrie als in der Pharmazie. Der hohe Informationsstand und das starke Interesse an Nahrungsmitteln, vor allem in den kaufkräftigen Schichten der Bevölkerung, führen zusätzlich zur Verstärkung der Entwicklung zu Nachhaltigkeit und Regionalität. Dieser Trend erzielt steile Zuwachsraten. In allen Umfragen zeigt sich die Mehrheit der Bevölkerung an diesen Themen interessiert. Das Interesse allein erzeugt noch keine Nachfragepotentiale. Entscheidend sind die "Diffusionsgeschwindigkeit" dieses Trends und die Ausgabenbereitschaft der Konsumenten. Für die Hersteller ist eine schnelle und dauerhafte Belegung dieser Differenzierungspositionen unerlässlich. Vor allem für die Markenanbieter sind Transparenz und Nachhaltigkeit gute Ansatzpunkte, um auch in Zukunft einen Markenbonus gegenüber dem undifferenzierten Angebot zu erhalten.Die hier angedeuteten Trends werden durch die Forderung nach Convenience überlagert.

Der Verbraucher sucht Gesundheit, Ausgewogenheit, Nachhaltigkeit parallel zum schnellen, dem subjektiven Zeitempfinden angepassten Konsum von Nahrungsmitteln. Einige Hersteller bieten bereits Lösungen an, andere werden diese intensivieren und ausbauen müssen. Das Angebot an entsprechenden Points of Sale, vor allem aber an Cateringalternativen in jeder Form, wird diesen Trend weiter unterstützen: Von der bekannten Pizza aus dem Karton bis zum perfekten Abendessen zu zweit mit dem entsprechenden Equipment. Insgesamt werden sowohl der Convenience-Konsum als auch der neue Inszenierungskonsum für Nahrungsmittel weiter zunehmen und gleichzeitig einen Schwerpunkt des Verbraucherbedarfes der Zukunft bilden.Die größten Zuwachsraten im Internet erzielen heute schon digitalisierte Gesundheitsberatungen, die - oft nicht ganz seriös - auf Basis von freiwilligen Informationen Wahrscheinlichkeiten und Risiken für Erkrankungen angeben. Der personalisierte Ernährungsplan, der auf wichtige körperliche Merkmale Rücksicht nimmt, dabei die individuellen likes und dislikes im Hinblick auf einzelne Nahrungsmittel berücksichtigt und gleichzeitig über das Smartphone Rückkopplungen auf die individuelle "Food-Performance" er-möglicht, ist nicht mehr weit entfernt. Das digitale Armband macht es möglich. Konsumenten wie Hersteller können hieraus erheblichen Nutzen erzielen, wenn die entsprechenden Daten für die Konsumenten leicht und übersichtlich zur Verfügung gestellt werden. Hier werden sich in Zukunft neue Differenzierungsmöglichkeiten ergeben, die für Revolutionen im Nahrungsmittelmarkt sorgen werden.

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