Künstliche Intelligenz für den Handel von morgen
Künstliche Intelligenz (KI) ist derzeit eines der am meisten verwendeten Buzzwords. Auffällig ist, dass es in der Regel vermieden wird, zu konkretisieren, was KI denn nun in dem jeweiligen Anwendungsfall oder dem entsprechenden Business leisten kann und was damit konkret verbunden wird.
Von Florian Lüft
Für den Handel wird KI in der Regel über eine selbstlernende, weitestgehend automatisierte Software-Lösung mit Algorithmen realisiert und bietet für den Händler eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verkaufsoptimierung. Die Echtzeit-Analysen des Userverhaltens werden mit dem Ziel durchgeführt, für jeden einzelnen Kunden eine Ausspielung relevanter Artikel zu erreichen, die dadurch mit einer höheren emotionalen Komponente versehen wird und zum Kauf anregen soll.
Ein beispielhafter Online-Shop hat 10.000 Artikel im Sortiment und verzeichnet pro Monat 100.000 Visits. Können Sie sich vorstellen, dass es ohne KI möglich ist, hier für jeden einzelnen Kunden eine Customer Experience zu schaffen, die automatisiert genau die Artikel ausspielt, die für den Besucher relevant und damit kaufwahrscheinlich sind? Ich nicht. Relevanz ist dabei der wesentliche Treiber für eine individuelle Emotionalisierung und der Auslöser für finale Kaufimpulse.
Vorteile selbstlernender Systeme und die Notwendigkeit manueller Intervention
Der größte Vorteil des Online-Handels liegt unbestritten in der Vielzahl der Daten, die auf den Shops hinterlassen werden und sehr gute Ansatzpunkte geben, welche Themen, Kategorien und Artikel interessant sind. Stellen Sie sich einen Shop mit nur vier verschiedenen Artikeln vor und rechnen Sie sich aus, wie viele verschiedene Möglichkeiten es gibt, diese unterschiedlich anzuordnen, um jeden User gemäß seiner Interessen anzusprechen.
Sie werden schnell feststellen, dass es unmöglich ist, diese 24 verschiedenen Anordnungen für jeden User effizient in Echtzeit umzusetzen. Selbstlernende Systeme sind der Schlüssel zu einem nicht nur kundenorientierten sondern kundenzentrierten Ansatz. Nur so werden Retailer in der Lage sein, jeden Kunden auf die Weise abzuholen, dass seine individuellen Interessen mit den ausgespielten Sortimenten übereinstimmen. Ein Sortiment für alle war "gestern", dynamische Sortimente sind "heute".
Voraussetzungen für die erfolgreiche Implementierung der KI im Unternehmen
Natürlich ist wie bei jedem Projekt mit Technologie-Bezug klar festzuhalten: Die reine Implementierung einer Lösung wird noch keinen nachhaltigen Erfolg mit sich bringen. Es ist entscheidend, zentrale Voraussetzungen zu erfüllen, die einerseits systembezogen sind, andererseits aber auch mit dem Mindset im Unternehmen zu tun haben.
Systemseitig gilt, dass auch die besten Algorithmen zwingend darauf angewiesen sind, genug Datenvolumen zu bekommen, auf dessen Basis sie lernen können. Insofern sind ein gewisses Basis-Sortiment und auch ein gewisser Traffic die Grundlage für den entsprechenden Erfolg. Zudem ist zu gewährleisten, dass gute Produktdaten mit entsprechend vollständiger Attribution vorhanden sind. Ist dies nicht der Fall, kann auch das beste System nicht sinnvoll lernen.
Viele Unternehmen sind derzeit noch nicht bereit, eine gewisse Kontrolle abzugeben und auf die Maschine zu übertragen. In einer Machine-Learning- und KI-Welt müssen vollständig manuelle und regelbasierte Systeme den neuen Technologien weichen. Sonst landet man schnell wieder in den alten Prozessen. Daher ist es entscheidend, zu Beginn ein klares Bild zu entwickeln, was die Ziele der entsprechenden Implementierung der KI sind.
Maschinen können bessere Verkäufer sein - aber nicht immer und nicht überall
Maschinen haben gerade online einen massiven Vorteil gegenüber dem Menschen: Sie sind in der Lage, nahezu unlimitierte Datenvolumen in Echtzeit zu verarbeiten und datengestützte Empfehlungen abzugeben. So sehen wir mit Apptus im Bereich Recommendations eine circa 80 Prozent höhere Klickrate auf Empfehlungen, die von der Maschine auf Basis des Verhaltens generiert wurden, als bei manuell konfigurierten Empfehlungen des Menschen.
Allgemein werden die besten Ergebnisse dort erzielt, wo Mensch und Maschine am besten miteinander verknüpft agieren. Es gilt hier zu vermeiden, dass der Mensch sich an Bereiche wagt, für die die Maschine deutlich besser geeignet ist und umgekehrt. Wenn wir an den POS gehen, dann ist klar zu erkennen, dass man mit KI die Verkäufer vor Ort sinnvoll unterstützen kann, sei es durch Erkenntnisse zu aktuell besonders gut funktionierenden Artikeln oder Artikel-Kombinationen. Aber auch durch eine dynamische Ausspielung relevanter Angebote auf digitalen Displays, die sich an den jeweils aktuellsten Daten-Erkenntnissen orientieren oder mit Empfehlungen bei der Abholung von Click & Collect Paketen aufwarten. Wenn ich weiß, was ein Kunde bestellt hat und welches weitere Produkt dazu besonders gut funktioniert - warum sollte ich diese Chance im Markt nicht ausnutzen, um den Online-Kauf mit einem zusätzlichen Offline-Kauf zu verlängern?
Quo vadis, Retail? Trends in der Absatzförderung
Welche Trends werden die Absatzförderung in der nahen Zukunft am stärksten prägen? Der klare Trend der nächsten Jahre sind Daten und deren Nutzung. Und das in direkter Verbindung mit der Automatisierung. Wer es schafft, seine Daten in Echtzeit nutzbar zu machen, um seinen Kunden eine echte, personalisierte Customer Experience anzubieten, wird massiv davon profitieren. Wer darüber hinaus in der Lage ist, seine Kanäle so zu verbinden, dass die beste Ansprache mit der besten Experience und der besten Umsetzung der Kundenwünsche ineinander greifen, der ist noch einen Schritt weiter. Und hier sehe ich den wahren Omnichannel als echte Waffe - man muss endlich dazu übergehen, die Kanäle nahtlos zu denken und nicht doch wieder in Silos zurückzugehen.
Ein weiterer Trend wird mit Sicherheit die weitere Verschiebung auf mobile Kanäle sein. Je kleiner der Screen ist, desto wichtiger wird es sein, genau die Artikel auszuspielen, die für den Kunden relevant sind. Und das ist, wie bei den anderen Bereichen der Individualisierung der Customer Journey, ohne KI einfach nicht machbar.
Florian Lüft ist für das Business Development des schwedischen Software-Anbieters Apptus Technologies in der DACH-Region verantwortlich und beschäftigt sich in dieser Funktion intensiv mit innovativen Konzepten für den Handel von heute und morgen. Zusätzlich tritt er regelmäßig als Keynote Speaker zum Thema Optimierung des Online-Handels auf Fachveranstaltungen auf.