Schweizer Shoppingcenter: Schlüsseltrends zur Zukunftsbewältigung
Von Thomas Stiefel, Managing Partner Retailpartners AG, Wetzikon
In der Schweiz sind aktuell 174 Shoppingcenter mit Flächen ab 5.000 Quadratmetern angesiedelt. Mit 29 Quadratmetern vermietbarer Fläche pro 100 Einwohner verfügt das Land über eine der höchsten Shoppingcenter-Dichten Europas.
Die hohe Shoppingcenter-Dichte und der abnehmende Konsum führen dazu, dass der Verdrängungswettbewerb zunehmen wird. Den Wettbewerb gewinnen werden Center, die jetzt zukunfts- und kundenorientierte Revitalisierungsmaßnahmen ins Auge fassen. Sie müssen das Resultat eines Paradigmenwandels in der Vermarktung, nicht einer blossen Kosmetik sein. Investoren und Immobilienbesitzer dürfen Shoppingcenter nicht länger als ein nach rein betriebswirtschaftlichen Prinzipien konzipiertes, von der Aussenwelt isoliertes System begreifen. Revitalisierte Shoppingcenter müssen Teil des Lebens und der Freizeit im öffentlichen Raum werden. Die steigende Bedeutung der Integration der Makroumwelt von Shops wird von den in der Studie "Die Zukunft der Schweizer Shoppingcenter. Architektur und Gestaltung im Spiegel der Megatrends Multi-Channel, Silver Shopper und Third Place" befragten Experten mehrfach bestätigt.
Eine entsprechende architektonische Gestaltung hängt nicht in erster Linie von der Höhe des Budgets ab. Die Integration in den urbanen Raum kann mit intelligenten, zukunftsgerichteten Architektur- und Gestaltungsinfrastrukturen effizient und zielführend bewerkstelligt werden. Shoppingcenter werden durch integrale Maßnahmen Bestandteil einer Gesamtentwicklung. Die jetzt erhältliche, kostenlose Studie von Retailpartners nimmt Stellung zu einigen Megatrends. Zentrale Fragestellungen sind: Welche Maßnahmen sollen bei der Architektur und Gestaltung von Schweizer Shoppingcentern ergriffen werden, damit diese für die Megatrends Multichannel, Silver Shopper und Third Place Erfolg bringend gerüstet sind? Wie hoch ist diesbezüglich der aktuelle Anpassungsbedarf bei Schweizer Shoppingcentern?
Konsequenzen der Verschmelzung von On- und Offline
Der Detailhandel unterliegt einem dynamischen Wandel, getrieben unter anderem vom veränderten Einkaufsverhalten über Online-Kanäle. Shoppingcenter demgegenüber verändern sich aufgrund von langen Amortisa-tionszeiten nur langsam. Resultat: Das Angebot des Einkaufserlebnisses von On- und Offline klafft auseinander, Shoppingcenter geraten im digitalen Bereich in Rückstand. Zur Revitalisierung liegt deshalb eine integrale Zusammenführung von stationärem Handel mit dem Handel via Internet auf der Hand, um Shoppingcenter zukunftsfähig zu machen. Über alle Altersgruppen hinweg werden heute beide Kanäle simultan und mobil genutzt. Für Betreiber von Shoppingcentern bedeutet das, dass auch bei der Gestaltung des Retailerlebnisses beide Kanäle zusammengeführt werden müssen. Die technischen Strukturen zur Vernetzung beider Welten müssen aber erst noch geschaffen werden. Der mobilen Technologie kommt dabei eine hohe Bedeutung zu. Das Smartphone wird zur künftigen "Schaltzentrale" von immer mehr Verbrauchern. Als Touch-Point zum Kunden ergeben sich für Shoppingcenter-Betreiber Opportunitäten mit Anwendungen wie Apps, kostenlosen Hotspots, Indoor-Navigationen oder Multimedia-Infostellen. In einem solchen Multichannel-Umfeld können Shoppingcenter gleichzeitig als Abholstellen für online reservierte Waren positioniert und vermarktet werden. Stichproben bei 10 der 174 Shoppingcenter legen den Schluss nahe, dass bei Schweizer Shoppingcentern der Revitalisierungsbedarf im Bereich Multi-Channel am grössten ist.
Mehr fürs Geld: Sicherheit, Bequemlichkeit, Information
Zielgruppen verschiedener Altersklassen haben unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse. Sie müssen mit differenzierten Angeboten abgeholt werden. Themenstores, Lounges, integrale Bereiche für Heimwerker oder Kultur- und Bildungsinteressierte sind die Antwort auf die Verschiedenheit der Kundengruppen. Um Veränderungen des Konsumverhaltens solcher Kundengruppen flexibel entsprechen zu können, bilden variable, freie Flächen im Center einen der Schlüssel zum Erfolg. Betrachten wir die Gruppe der Silver Shopper, Konsumenten im Seniorenalter. Alle Besucher, speziell aber Silver Shopper fühlen sich wohl, wenn sie sich sicher fühlen. Multifunktionale Leitsysteme vom und zum öffentlichen Verkehr, im Parkhaus und in den Mall-Bereichen, helle und breite Wege oder eine Sicht nach draußen sind die Kriterien, die den Erfolg von Sicherheitssystemen ausmachen.
Sonderbehandlungen von Silver Shoppern, Frauen und Familien müssen auch in Zukunft zum Standardangebot gehören. Zu einer revitalisierten Infrastruktur werden auch Dienstleistungen wie Concierge Lounges mit Rollstuhlservice, Autoholdienste, Public Services wie Post, Bank oder Ticketverkauf, Ärztezentren und interaktive Informationszentren gehören. Aus einer Ansammlung von Läden werden Shoppingcenter dadurch zu städtischen Plätzen, zu integralen urbanen Lebensräumen zum Verweilen und sich Entspannen. Nach A. Petit (The Shoppingcenter of the Future. ICSC European Research Group 2012) wird die Produktdiversifikation einer der zentralen erfolgskritischen Faktoren bei einer Shoppingcenter-Ausrichtung auf die Zielgruppe der Silver Shopper werden.
Öffnung zum urbanen Raum: Erlebniskauf und Freizeitgestaltung am dritten Ort
Shopping hat sich längst als Freizeitbeschäftigung etabliert. Der Handel legt dadurch zunehmend Gewicht auf das Schaffen von sozialen und emotionalen Erlebnissen. Einkaufscenter wurden aufgrund dieser sozialen und emotionalen Bedeutung zu sogenannten "Third Places". Dritte Orte sind öffentliche Räume, die im Zuge der Modernisierung zum persönlichen Lebensraum werden, der weit über den Konsum hinausreicht. Shoppingcenter sind vermehrt zu solchen Dritten Orten gewachsen. Als Orte zum Verbringen der Freizeit müssen sie deshalb ein ähnliches Ambiente entwickeln wie ein Quartier mit den für dieses Quartier typischen lokalen Zügen. Ortsansässige Besucher müssen von ihrem Dritten Ort "Besitz ergreifen" können. Voraussetzung, um einen der lokalen Umgebung angepassten Charakter zu erlangen, ist eine architektonische Anpassung an den umgebenden städtebaulichen Kontext. Das bedeutet: Die Architektur trägt lokale Züge und schafft fliessende Übergänge von innen nach aussen. Sie verleiht einem Dritten Ort Authentizität und wirkt nicht als dekorative Kulisse à la Disney World.
Die Gastronomie wird als Teil der städtebaulichen Einbindung und als Träger des gesellschaftlichen Erlebnisses an Bedeutung gewinnen. Anstelle der bisherigen, nach amerikanischem Muster geprägten Food Courts mit Gemeinschaftsgastro-nomie und Fast-Food-Kiosken treten authentische Angebote mit inno-vativer, lokaler Gastronomie. Es wird erwartet, dass Gastronomieflächen zukünftig bis zu 15 Prozent und mehr der Gesamtfläche eines Centers einnehmen werden. Ausnahmslos alle in der Studie befragten Experten sehen in der Erhöhung des Gastronomieanteils und in der optimalen Zusammen-stellung des Gastronomie-Mix wesentliche Handlungsparameter bei der zukunftsorientierten Ausrichtung von Schweizer Shoppingcentern in Richtung Third Place.
Ausblick: Sieger und Verlierer im Revitalisierungswettbewerb
Die Studie kommt zum Schluss, dass bei den Schweizer Shoppingcentern noch ein erhebliches Entwicklungspotenzial besteht; sie müssen deutlich umdenken. Der Revitalisierungsdruck wird in den nächsten Jahren die Center in Kleinstädten wesentlich stärker in Bedrängnis bringen als Zentren in Grossstädten. Einer der Schlüssel dazu wird in der Integration von neuen Technologien zur Steigerung des Einkaufserlebnisses liegen. Für den Grossteil der zehn untersuchten Shoppingcenter in der Schweiz besteht ein Renovationsrückstau respektive eine Notwendigkeit zur konzeptionellen Anpassung. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sich Investoren und Eigentümer von einem Denken in Dimensionen der Verwaltung abkehren und sich einer aktiveren Vermarktung der Retailflächen zuwenden. Investoren müssen ihre Betreiber selektiver auswählen und jene engagieren, die nicht nur bewirtschaften, sondern aktiv managen. Teil einer Revitalisierung muss auch die Integration von politischen Herausforderungen wie Verkehr, Parking und Schonung der Umwelt sein. Ein aktives Shoppingcenter-Marketing muss auch eine laufende Optimierung des Mieter-Mix vorsehen.
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Thomas Stiefel ist Managing Partner von Retailpartners AG, Wetzikon. Das Innenarchitekturbüro designt, gestaltet und baut Markenräume. Mit dem Portable Shop, den er der Jelmoli-Gruppe verkaufte, war Thomas Stiefel Pionierunternehmer. Die Studie basiert auf seiner Diplomarbeit zur Erlangung des Master of Advanced Studies in Real Estate am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich.