Wo Patienten zu Konsumenten werden, rückt das Einkaufserlebnis stärker in den Fokus

Im Markt für Gesundheitsprodukte ist derzeit richtig Musik drin: Nicht nur, dass der digitale Wandel in der Pharmabranche und dabei besonders beim Absatz von OTC-Produkten und durch Veränderungen im Kaufverhalten gerade eine Menge durcheinander wirbelt, es gibt darüber hinaus für Gesundheitsprodukte einen langfristigeren positiven Trend, der dieser Branche ein anhaltendes Wachstum prognostiziert. Dazu passt, dass der Schweizer Nahrungsmittelriese Nestlé nun auch eben jene rezeptfreien Gesundheitsprodukte in den Konzern integrieren will. Neu-Chef Ulf Mark Schneider - der aus der Gesundheitsbranche kommt - hat klar gemacht, dass er sich neben dem Ausbau des Kerngeschäfts auch in Richtung Gesundheit orientieren möchte. Denn dieser Markt verspricht viel bessere Wachstumsraten, als der ohnehin schon übersättigte Markt für Süßigkeiten.

Konkret geht es um ein Joint-Venture mit dem Pharmaunternehmen Merck. Eine endgültige Entscheidung soll aber erst Anfang nächsten Jahres fallen, denn neben Nestlé sollen auch die Konsumgüterkonzerne Johnson & Johnson und Reckitt Benckiser interessiert sein. Welche große Bedeutung der Absatz von OTC-Produkten für die Pharmabranche hat, belegen auch die Zahlen. Alljährlich Ende Januar legt IMS Health all jene relevanten Zahlen vor, die den OTC-Markt im vorangegangenen Jahr charakterisieren und für das Jahr 2016 viel Positives vermelden - sowohl, was den Umsatz mit OTC-Produkten angeht, als auch die Entwicklung der Vor-Ort-Apotheke sowie des Apothekenversandhandels. Der Umsatz mit OTC-Produkten in der Apotheke (Offizin-Apotheke und Apothekenversandhandel) ist im Jahr 2016 um 3,8 % gestiegen. Dabei nahm die Zahl der abgegebenen Packungen um 1,1 Prozent zu. Überdurchschnittlich gewachsen ist 2016 der Apothekenversandhandel: Insgesamt erzielte er einen Umsatz von 1198,6 Mio. Euro, was ein Plus von 162,4 Mio. Euro bedeutet (15,7 %). Die Vor-Ort-Apotheke wiederum steigerte den Umsatz um 142,3 Mio. Euro (plus 2 %) auf 7197,9 Mio. Euro. Der Versandhandelsanteil lag 2016 bei 14 Prozent (2015 waren es noch 13 %).

Fast alle Teilmärkte legten zu

Mit wenigen Ausnahmen verzeichneten alle OTC-Märkte 2016 eine Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr; auch im vierten Quartal zeigt sich ein breites Wachstum. Verluste gegenüber dem Vorjahr gab es jedoch bei Ohrenpräparaten und Produkten für die gesunde Gewichtsabnahme. Letztere mussten zwar in der Jahresbetrachtung einen Umsatzrückgang von 6,6 Prozent hinnehmen; im vierten Quartal 2016 gab es jedoch aufgrund einer Neueinführung wieder deutliche Zuwachsraten von 9,3 Prozent.

Für Umsatzplus sorgen stets die Erkältungsmonate

Der Erkältungsmarkt verzeichnete 2016 mit einem Plus von 1,8 Prozent in der Jahresbetrachtung nur einen moderaten Anstieg des Umsatzes; im vierten Quartal gab es jedoch mit einem Plus von 14 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahresquartal einen deutlichen Anstieg in der Nachfrage. Vor allem Erkältungs- und Grippemittel waren im vierten Quartal 2016 stark gefragt: Der Umsatz stieg gegenüber dem vergleichbaren Quartal 2015 um 20,3 Prozent auf 104,6 Mio. Euro. Damit wurde erstmals mehr Geld für Erkältungs- und Grippemittel ausgegeben als für Expektoranzien (Schleimlösende Medikamente): Für diese Produkte wurden 103,1 Mio. Euro ausgegeben (plus 11,8 Prozent), für Schnupfenmittel 101,5 Mio. Euro (plus 15,4 %) und für Produkte bei Atemwegserkrankungen 99,3 Mio. Euro (plus 18,3 %).

Veränderte Shopper Journey - neue Typologie des Vertriebskanals Apotheke

Zurück zum Wandel des OTC-Marktes: Die Käufer von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten sehen sich heute immer mehr als Konsumenten statt als Patienten. Sie informieren sich viel häufiger selbst über solche Produkte als in früheren Zeiten, in denen man noch allein auf den Rat des Arztes oder Apothekers vertraute. Und das Wettbewerbsumfeld von OTC-Produkten erweitert sich: Reichte es früher, sich mit der Konkurrenz in der Apotheke auseinanderzusetzen, bieten heute zunehmend auch Drogeriemärkte und der Lebensmitteleinzelhandel Gesundheitsprodukte an. Auf diese Entwicklungen müssen die Hersteller und damit auch ihre Dienstleister reagieren. Havas Düsseldorf und das Marktforschungsunternehmen concept m haben gemeinsam eine Apothekenstudie durchgeführt, die Einblicke in einen bewegten Markt ermöglichen soll. In 20 qualitativ-psychologischen Tiefeninterviews und 150 quantitativen Befragungen mit Apothekern haben Havas und concept m den Einsatz von Medien und Kommunikationsmitteln im Apothekenumfeld untersucht. Die Studienergebnisse und die Bewertung hinsichtlich des Modernisierungsgrades der Apotheken brachten vier Apothekentypen hervor: "die traditionelle Apotheke", "die Apotheke zwischen den Welten", "die spezialisierte Apotheke" und "die progressiv-fortschrittliche Apotheke". In der Beratung von OTC-Herstellern leitet Havas aus der Apothekenstudie strategische und operative Empfehlungen für eine effiziente und individuell skalierbare Marketingkommunikation ab, angepasst auf den jeweiligen Apothekentyp.

Orientierungshilfe für OTC-Marketeers

Die Studie betrachtete besonders auch die Mediennutzung der verschiedenen Apothekentypen. Vor allem die "spezialisierte Apotheke" und die "progressiv-fortschrittliche Apotheke" verwenden bereits vielfach digitale Medien und sind auch innovativen Lösungen wie Augmented Reality Anwendungen gegenüber aufgeschlossen. "OTC-Hersteller müssen den Einsatz ihrer Kommunikationsmittel effizient steuern und ihre Ressourcen optimal planen. "Unsere Studie hat gezeigt, dass es bei den Apotheken in Deutschland große Unterschiede hinsichtlich der Modernisierung und der Mediennutzung gibt", berichtet Guido Körfer, Managing Director Havas Düsseldorf. "Im Umkehrschluss verdeutlicht dies, wie wichtig eine passgenaue Ressourcenplanung für OTC-Hersteller ist, um ihre Marketingaktivitäten maximal effizient auszurichten. Durch die Erkenntnisse, die wir aus der Studie gewonnen haben und die Typologisierung, lässt sich ableiten, welche speziellen Medien und Kommunikationsmittel aktuell für welchen Apothekentyp relevant sind, um den Multichannel-Mediamix am POS sinnvoll zu planen und auszusteuern."

Wandelndes Selbstbild der Apotheker

"Apotheker müssen sich heute mit einer steigenden Komplexität der Produkte und Themen sowie mit einem hohen Wettbewerbsdruck auseinandersetzen", so Rochus Winkler, Managing Partner bei concept m. "Die Studienergebnisse zeigen, wie sich die Digitalisierung, die wachsende Diversifikation und mündige Verbraucher auf die Rolle des Apothekers auswirken. Der Apotheker muss heute zudem ein gutes Maß zwischen beratender Argumentation und geschickter Verkäuferhaltung finden. Umso wichtiger ist es, dass OTC-Hersteller die Bedürfnisse der Apotheker kennen und ihre Kommunikation danach ausrichten."

Aus dem Wandel im Selbstverständnis der früheren Patienten zu Konsumenten ergeben sich für Rochus Winkler, dass die OTC-Käufer nicht mehr "blindlings annehmen, was ihnen vorgeschrieben wird", sondern sie seien zunehmend informiert, anspruchsvoll und kritisch, denn Informationen rund um OTC-Präparate seien leicht zugänglich, insbesondere über digitale Kanäle. "Um als OTC-Marke vor diesem Hintergrund erfolgreich zu sein, müssen die geforderten Informationen und Benefits rundum Präparate nicht nur transparent, verständlich und überzeugend angeboten werden, sondern es geht auch darum, gleichzeitig emotionale Welten zu eröffnen (...)."

Die Marke ist besonders in Einkaufsstätten, die nicht ausreichend beraten können, ein zunehmend wichtiger Anker bei dem Kauf von OTC-Produkten. Speziell in Online-Apotheken oder Drogeriemärkten ist sie unverzichtbarer Verkaufstreiber. Und sie hat einen Einfluss auf die Preissensibilität der Konsumenten. Laut einer Ears-and-Eyes-Studie sind OTC-Konsumenten bereit, mehr für OTC-Produkte zu bezahlen, wenn die Marke bekannt sei. Als Erfolgsbeispiele nennt die Studie "Ratiopharm", "Wick" und "Voltaren" - denn diese Marken werden in Apotheken sehr häufig nachgefragt.

"Themen aus dem Consumer-Markt werden in Zukunft im OTC-Markt Einzug halten", betont Guido Baus, Gründer und Geschäftsführer der pharma-insight GmbH, gegenüber der Fachzeitschrift "Pharma Relations". Ein weiterer Erfolgsaspekt sei die "Gestaltung der Apotheke als Einkaufserlebnis". Baus dazu: "Je länger der Verbraucher in der Apotheke verweilt, desto mehr Produkte erwirbt er. Hier können OTC-Hersteller mit aufmerksamkeitsstarken Tools die Apotheken unterstützen und den Aufenthalt in der Apotheke zum Einkaufserlebnis machen."

Auch Frank Liebrand, Geschäftsführer der andres GmbH, einem der führenden Anbieter von Displays im OTC-Bereich, beobachtet die Entwicklung hin zu einer immer differenzierteren Präsentation am Point of Sale: "Grundvoraussetzung ist jedoch zunächst einmal, dass die OTC-Marke bzw. das OTC-Produkt vom Käufer am POS überhaupt wahrgenommen wird. Die Kette der Wahrnehmung darf nicht am Ort der Kaufentscheidung abreißen und dem reinen Zufall überlassen werden. Demnach empfehlen wir Markenherstellern, im Sinne des Erfolgs auf nachhaltige, hochwertige und permanente POS-Lösungen zu setzen. Die Kundenaufmerksamkeit ist mit diesen Displays garantiert, da sie in der Sichtwahl, etwa durch raffinierte optische Akzente, aus der Masse hervorstechen oder prominent auf dem HV-Tisch respektive in der Offizin platziert sind. Derartige Präsentationen machen die Shopper Journey erst 'rund'. Sie transportieren sowohl Emotionen wie auch wichtige Informationen an den POS, erreichen gleichzeitig die nötige Abgrenzung zu alternativen Vertriebskanälen und stellen somit die Weichen für den Erfolg."

Thilo Becher, Geschäftsführer der Deinzer GmbH, betont dabei die Erfahrung und Expertise, die es im wettbewerbsintensiven OTC-Bereich für erfolgreiche Markenkommunikation am POS braucht: "Der POS wird zunehmend von medizinischen und kosmetischen OTC-Produkten bestimmt. In diesem hart umkämpften Umfeld braucht es Expertise und Erfahrung und vor allem eine kreative Umsetzung, die den Verbraucher anspricht und zugleich das Produkt erklärt, z.B. durch die Visualisierungen des Wirkmechanismus oder Einbindung digitaler Inhalte auf einem Screen. Wenn dann die Gestaltung der Platzierung in Formensprache und Kommunikation den CI-Vorgaben der Marke folgt, wird crossmedial aufgebautes Markenvertrauen am POS zu einer Einkaufsentscheidung zugunsten der Marke führen. Hier verstehen wir uns nicht nur als Hersteller sondern als auch als kompetenter Ideengeber für unsere Kunden."

Mit Investitionen tun sich besonders die Apotheker allerdings derzeit schwer: Laut einer im Auftrag der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände - durchgeführten Umfrage erwarten vier von zehn Apothekenleitern (40,9 Prozent) in den kommenden zwei bis drei Jahren eine etwas schlechtere oder eine deutlich schlechtere Entwicklung für ihre Apotheke. Keine guten Voraussetzungen für einen Anstieg der Investitionsbereitschaft.

Hauptgrund für die schlechte Stimmung ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Oktober 2016, wonach ausländische Versandhändler nicht mehr an die in der Arzneimittelpreisverordnung festgelegten Preise für rezeptpflichtige Medikamente gebunden sind. So gaben 56,3 Prozent der Apothekenleiter an, nach dem EuGH-Urteil ihre Investitionen bremsen zu wollen. Rund ein Drittel der Befragten will Personal einsparen, und fast ebenso viele glauben, dass in Orten mit weniger als 5.000 Einwohnern die Ausbildung unter dem EuGH-Urteil leiden wird. 80,3 Prozent der befragten Apotheker fordern daher, dass die neue Bundesregierung nach der Wahl schnellstmöglich ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Medikamenten durchsetzen soll. Ob dieses Verbot aber kommt, ist alles andere als sicher...

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